25.06.2021 ● Antonia Anderland
Online-Coaching: das kann nicht funktionieren! Oder doch?
„Die Eisenbahn kommt aus der Hölle“ - davon war ein bayerischer Pfarrer im Jahr 1835 ganz überzeugt. Berühmter noch ist ein Wilhelm II., dem letzten deutschen Kaiser, zugeschriebenes Zitat: „Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd.“ Unabhängig davon, dass Pferde unbedingt Vertrauen verdienen, hat sich seither doch gezeigt, dass manche technischen Errungenschaften langlebiger sind, als Pessimisten meinen…
„In 10 Jahren ist Google tot“
In den Anfängen des Computerbaus zweifelten selbst führende Entwickler am Erfolg ihrer Erfindung: Bei IBM hieß es in den 50er Jahren, man habe gedacht, „dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer“ gebe. Irgendwann entstand das World Wide Web, und seit dessen öffentlicher Nutzung häufte sich Skepsis dagegen: Internet, das habe doch keine Zukunft, hörte man aus vielen Ecken.
„In 10 Jahren ist Google tot“, prophezeite ein Verleger noch im Jahr 2007.
Nachdem das Internet mittlerweile als Recherchequelle unverzichtbar geworden ist, ziehen sich Skeptiker auf andere Bereiche zurück, z.B. Psychotherapie und Coaching. (Nicht gemeint sind hier die technisch gut informierten Kritiker der realen politischen Missbrauchbarkeit des Internet, sondern eine Fraktion von Zweiflern, die schlichtweg nicht an digitale Kommunikation gewöhnt ist und sie daher ablehnt. Denn „Das kann nicht funktionieren“ sagen am häufigsten diejenigen, die Online- Konferenzen im Alltag nicht benutzen).
Online Coaching - Ein Erfahrungsbericht
In unserem VLOG berichtet das biema Kompetenzteam immer wieder aus seinen Praxiserfahrungen.
Vorurteile gegen das Fern-Gespräch
Was heißt eigentlich „Remote-Kommunikation“? Eigentlich nur: „Fern-Gespräch“. (Übrigens wurde auch das Telefon kurz nach seiner Erfindung im 19. Jahrhundert vielfach verteufelt). Was hört man nun zum Thema Online-Coaching häufig? „Ich glaube, das ist mir zu unpersönlich“, “Da fehlt doch einfach was“, „Da fehlt das Menschliche“, „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich da öffnen kann“.
Dazu kann man nur sagen: „Probieren Sie es aus“. Vor allem derjenige, der nicht die Sitzung leitet, sondern nur an ihr teilnimmt, hat es sehr leicht: ein Klick auf den Einladungslink, den man z.B. per E-Mail erhalten hat, reicht in der Regel. In vielen Fällen öffnet sich dann einfach ein Browserfenster; seltener ist ein Client zu installieren (ein kleines Computerprogramm, das mit dem Server des Konferenzanbieters kommuniziert). Bei gutem Willen und WLAN lässt sich übrigens auch schon mit einem Smartphone erfolgreich an einer Videositzung teilnehmen. Ein achtsamer Coach gibt für die erste Sitzung alle notwendigen Hilfestellungen.
Sehr nützlich finden bald auch Neulinge: beide Seiten können sich beliebige Bildschirminhalte zeigen und parallel Dokumente austauschen. Praktische Übungen, die Bewegung im Raum erfordern, können ebenfalls ähnlich wie in der Präsenzsituation gemacht werden. Und sich „mal schnell einen Kaffee holen“, ist auch möglich!
Online-Coaching: ist das nicht weniger intensiv?
Was aber ist mit der berühmten Ausstrahlung, auf beiden Seiten? Und der per Bildschirm nicht so exakt beobachtbaren Körpersprache? Fehlen nicht die in der Live-Situation erfühlbaren „Schwingungen“ zwischen den Gesprächspartnern?
Ja, es fehlt etwas. Niemand wird seriös behaupten, dass eine Online-Sitzung genau das Gleiche liefert wie ein physisches Treffen. Online ist anders! Nicht besser, nicht schlechter - es ist eine Veranstaltung mit ganz eigenen Vor- und Nachteilen.
Eines der größten Handicaps: eindeutig fordert das Online-Setting dem Coach mehr an Energiemanagement ab - das Fehlen des Präsenzkontakts will kompensiert werden. Das gelingt am leichtesten, wenn der Coach erstens die Besonderheit des Settings würdigt und zumindest im Erstkontakt eventuell Verunsicherndes anspricht. Zweitens sollte er die Sitzung besonders sorgfältig „rahmen“, d.h., genau darüber orientieren, was den Klienten zeitlich und inhaltlich erwartet. Drittens tut es dem ganzen Prozess gut, den „Draht zum Gegenüber“ besonders intensiv mit Konzentration, gerichteter Aufmerksamkeit und emotionaler Zuwendung zu „halten“.
Das ist anstrengend - so berichten es jedenfalls die meisten Leiter/innen einer Online-Sitzung, die einen gesamten Tag auf dem Remote-Kanal energiefressender finden als einen gleich langen Tag mit körperlich anwesenden Klienten. Der Gewinn des Settings ist ein Plus an Flexibilität - und nebenbei (bei Klienten, die mit digitaler Kommunikation nicht sehr vertraut sind) ein Training der Nutzung „neuer Medien“, was allgemein zu den „future skills“ gezählt wird, d.h. für die Berufswelt der Zukunft einschlägige Fähigkeiten.
Das Beste aus zwei Welten
Glücklicherweise gibt es im Coaching keine Zwänge. Wer nach wie vor Präsenzcoaching möchte, wird die Möglichkeit dazu finden. In Pandemie-Zeiten häufig mit Maskenpflicht für beide Seiten (was vielen im Nachhinein das Videobild mit komplett sichtbarem Gesicht doch sympathisch macht), in einer entspannteren Zukunft sicher auch wieder buchstäblich „face-to face“.
Verschwinden wird die Online-Beratung jedoch nie wieder ganz: zu groß sind die Vorteile, allen voran die Unabhängigkeit von Zeit und Raum und damit gewaltige planerische Erleichterungen (man denke auch an Expats, Auslandsarbeiter in unterschiedlichsten Zeitzonen. Aber bereits Kunden mit einem weiten Anfahrtsweg und sehr langen Arbeitstagen schätzen es, irgendwann am Feierabend von zuhause aus mit dem Coach zu sprechen). Sogar in Branchen wie Ergotherapie und Logopädie wird seit neuestem von großer Akzeptanz seitens der Klienten berichtet, seien es Erwachsene oder Kinder und Jugendliche.
Viele setzen in Zukunft auf den größtmöglichen Komfort: Treffen vor Ort, wo es leicht umsetzbar ist… Online-Coaching, wo es logistische Vorteile bringt... und ganz nach Bedarf und Belieben ein Wechsel zwischen beidem. Das Beste aus zwei Welten mitnehmen: wenn das nicht verlockend klingt! Fazit: Online-Coaching bedeutet Komfort-Zuwachs
Weiterführende Links:
- https://www.welt.de/wirtschaft/webwelt/article160056989/Deutschlands-erste-Dampflok-war-ein-rauchendes-Ungeheuer.html
- https://www.sueddeutsche.de/digital/beruehmte-fehlprognosen-computer-sind-nutzlos-1.935972
- https://blog.hnf.de/ein-weltmarkt-fuer-fuenf-computer/
- https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/netzwirtschaft/interview-mit-dem-verleger-christian-dumont-schuette-15901.html
- https://biema.de/videokon/
- https://www.optica.de/wissenswert/detail/artikel/therapie-ohne-hand-anlegen/
Über die Autorin:
Antonia Anderland (www.anderland.org) ist seit über 20 Jahren Organisationsberaterin, systemischer Business Coach und Wirtschaftsmediatorin. Im Kompetenzteam von “biema - beruflich richtig platziert” ist die Karriereneugestaltung ihr Fokus. Jedes Jahr coacht, berät und trainiert biema über 600 Menschen dabei, sich beruflich richtig zu platzieren.
www.biema.de