09.07.2023 ● Bernadette Winter, dpa
Angriff oder Lockerheit: Mit Vorurteilen im Berufsleben umgehen
Branchen, Geschlechter und Berufe sind häufig mit Vorurteilen behaftet. Was macht es mit Berufstätigen, wenn sie dem immerzu ausgesetzt sind? Und wie geht man mit dem Klischeedenken am besten um? Vorurteile können nicht nur nervig, sondern auch belastend sein. Wie findet man einen Weg, damit umzugehen?
Dazu muss man erst verstehen, woher vorurteil-behaftetes Denken überhaupt kommt. „Wir haben Vorurteile, weil wir gerne alles kategorisieren und damit vereinfachen“, sagt Mentalcoachin Melanie Kohl. „Deshalb stecken wir Menschen in Schubladen, das beginnt schon in der Kindheit und wird von den Eltern übernommen.“
Mit Vorurteilen umzugehen sei manchmal deshalb so schwierig, weil sie zumindest in Teilen auf beobachtbaren Tatsachen beruhen, so der Psychotherapeut Enno Maaß. Allerdings müsse das jeder für sich selbst differenzieren. „Schließlich treffen nicht alle zu.“
Locker bleiben und erklären
Wer selbst häufig in Schubladen gesteckt wird, sollte unterscheiden, mit welcher Absicht das Gegenüber gerade spricht und was die Motive sind, rät Maaß. Je nach Situation empfiehlt er drei Reaktionen: Lustig drauf eingehen, erklären oder klare Grenzen setzen.
Wenn beim Small-Talk auf einer Party das Gegenüber mit einem lockeren Spruch lustig sein will, dann könne man das entsprechend kontern, so der Experte. Vielleicht will aber nur jemand den eigenen Frust loswerden? „Das kann man dann eventuell erfragen“, sagt Maaß.
„Je mehr ich mich öffne und zeige, wer ich bin, desto mehr werden Vorurteile abgebaut“, sagt auch Trainerin Melanie Kohl.
Schubladendenken bewusst machen
Kohl empfiehlt zu hinterfragen, warum der- oder diejenige auf die Klischee-Idee kommt, ohne jedoch dabei in einen Rechtfertigungsmodus zu gelangen. So wird sich das Gegenüber das eigenen Schubladendenkens bewusst und kann es selbst kritisch beleuchten.
Erklären und aufklären kann Maaß zufolge dann Sinn machen, wenn es dem Gegenüber nicht um einen Angriff geht, sondern tatsächlich um Information. Oder wenn man feststellt, dass das Vorurteil auf Desinformation beruht.
Rechtzeitig Grenzen aufzeigen
Maaß rät jedoch, auch zum Gegenangriff überzugehen, wenn das angemessen erscheint. Hierin sieht der stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten-
vereinigung ein probates Mittel der Grenzsetzung. „Tatsächlich wird man oft eben nur dann respektiert, wenn man sehr deutlich seine eigenen Grenzen aufzeigt.“
Laut Maaß denken viele, die sozial angepasst leben, dass sie überall respektiert werden, wenn sie bloß immer nett, freundlich und zurückhaltend sind. „Aber es gibt Menschen, die gehen immer so weit, bis sie Grenzen spüren und je früher die aufzeigt werden, desto eher wird man respektiert.“
Starke Persönlichkeiten definieren sich nicht über den Job
Kohl hat die Erfahrung gemacht, dass Menschen unterschiedlich mit Vorurteilen umgehen. Je nachdem, wie gut der eigene Selbstwert ist. Wer selbst glaubt, nicht gut genug zu sein, stelle sich häufig in Frage. Wer dagegen einen hohen Selbstwert hat, kann die Kritik an sich abprallen lassen und nimmt es ist nicht persönlich. Kohl rät deshalb dazu, eigene Glaubenssätze aufzuspüren und aufzulösen. Dazu kann man etwa eine Liste mit rund 50 Punkten anlegen und aufschreiben, warum man einen guten Job macht. „Wenn ich dahingehend mein Bewusstsein verändere, schmerzt mich ein Angriff nicht mehr so sehr“, sagt Kohl. 50 Punkte sollten es ihrer Empfehlung nach sein, weil dann selbst Dinge aus dem Unterbewusstsein aufgezählt werden.
Hilfe suchen
Zur Belastung werden Vorurteile laut Maaß dann, wenn es in Mobbing ausartet. „Wenn es zu massivem Leid führt, kann man sich auf jeden Fall Hilfe holen, um dann mit einer vielleicht feindlichen Umgebung umgehen zu können.“ Oft reichen dem Psychotherapeuten zufolge aber Kollegen, mit denen man sich austauschen kann.
„Wichtig ist, dass man wirklich ein eigenes sehr differenziertes Bild von seinem Beruf hat“, findet Maaß, sonst gehe die eigene Motivation für die Arbeit irgendwann verloren.
Von Bernadette Winter, dpa