
22.02.2025 ● Holger Hagenlocher
Debatte um Mehrarbeit: Sind die Deutschen(wirklich) zu faul?
Im europäischen Vergleich, in dem die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bei 36,9 Stunden liegt, wird nur in den Niederlanden, Norwegen und Dänemark weniger gearbeitet als hier. Mit 34,7 Stunden durchschnittlich geleisteter Wochenarbeitszeit hat diese seit 1991 (38,4 Stunden) merklich abgenommen. Gleichzeitig ist die Teilzeitquote auf einem Rekordhoch. Sind die Deutschen tatsächlich faul oder entsteht dieser Eindruck durch verzerrte Statistiken? Studien und internationale Vergleiche zeichnen ein differenziertes Bild.
Deutschland: Wenig Arbeitsstunden, aber hohe Produktivität
Laut OECD-Daten aus 2023 betrug die durchschnittliche Jahresarbeitszeit in Deutschland 1.341 Stunden – deutlich weniger als der OECD-Durchschnitt von 1.716 Stunden. In den USA (1.791 Stunden), Südkorea (1.901 Stunden) und Mexiko (2.137 Stunden) wird mehr gearbeitet.
Dennoch belegt Deutschland laut ifo-Institut und Statistischem Bundesamt Spitzenplätze in der Arbeitsproduktivität, was auf hohe Effizienz und technologische Innovationskraft zurückzuführen ist.
Teilzeitquote sind Hauptursache für niedrige Arbeitszeiten
Die vergleichsweise geringen Arbeitszeiten lassen sich vor allem durch die hohe Teilzeitquote erklären. 2023 arbeiteten laut Statistischem Bundesamt 28,5 Prozent der Erwerbstätigen in Teilzeit – der dritthöchste Wert in der EU. Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt: 24 Prozent der Teilzeitkräfte nennen familiäre Verpflichtungen wie Kinderbetreuung oder Pflege als Hauptgrund. Gleichzeitig entscheiden sich 27 Prozent bewusst für Teilzeitarbeit, um ihre Work-Life-Balance zu verbessern.
Familienfreundlichkeit bietet Potenzial für die Erhöhung der Vollzeitquote
Familienfreundliche Arbeitsmodelle gelten als Schlüssel, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) steigen die Rückkehrquoten in Vollzeit, wenn Unternehmen betriebliche Kinderbetreuungsangebote, flexible Arbeitszeiten und Homeoffice-Optionen bereitstellen. Maßnahmen wie Jobsharing und Teilzeitmodelle mit Aufstockungsoptionen erleichtern den Übergang in Vollzeit.
Wiedereinstiegsprogramme mit Mentoring fördern die berufliche Kontinuität nach der Elternzeit. Auch Pflegezeitmodelle zur Unterstützung Angehöriger steigern die Erwerbsquote. Diese Maßnahmen stärken nicht nur die Fachkräftesicherung, sondern auch den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Weniger Arbeitsstunden als andere Länder – nur mit hoher Produktivität
Damit Deutschland trotz niedriger Jahresarbeitszeiten auch in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich bleiben kann, muss die Produktivität im Vergleich zu anderen Ländern weiterhin hoch bleiben. Um eine hohe Produktivität sicherzustellen, braucht es technologische Innovationen wie Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Industrie 4.0., um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Ebenso sind Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen essenziell: Kontinuierliche Schulungen sowie die Förderung von MINT-Fächern sichern den notwendigen Fachkräftebedarf und deren Kompetenz. Gleichzeitig steigern moderne Arbeitsmodelle wie Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit die Zufriedenheit und damit die Produktivität.
Arbeitszeit, Effizienz und Wettbewerb - ein differenziertes Bild statt Klischees
Die Debatte um die Arbeitsmoral der Deutschen ist komplex. Niedrige Arbeitszeiten resultieren primär aus einer hohen Teilzeitquote, nicht aus mangelnder Arbeitsbereitschaft. Deutschland beweist, dass Effizienz und kurze Arbeitszeiten kein Widerspruch sind. Eine zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik, die Familienfreundlichkeit und Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung kombiniert, wird für die Wettbewerbsfähigkeit und Fachkräftesicherung entscheidend sein.