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Nichtssagende Wörter, die keiner richtig versteht

Modewörter, die keiner mehr hören kann, vage Begriffe ohne echte Bedeutung: In Unternehmen wird scheinbar immer sinnfreier geredet.
Veröffentlicht am 27.03.2021
Im Gegensatz zu manchem sprachlichen Bullshit, mit dem manche Manager in Firmen sich mitteilen und womöglich selbst nicht richtig wissen, was sie sagen, ist diese Botschaft in einem Fußballstadion klar.  | Bild: imago

Warum der Bullshit boomt

Doch manchmal hat das einen guten Grund – und ist kaum zu vermeiden. Haben Sie heute schon an ihrem agilen Mindset gearbeitet? Die Stakeholder über den Corporate Purpose aufgeklärt? Falls nicht, sollten Sie schleunigst anfangen, schließlich wollen sie doch durch eine wertegeleitete und kundenzentrierte Unternehmenskultur nachhaltig erfolgreich sein, oder?

Wörter ohne viel Gehalt

Fast jeder kennt das: Man kommt aus einem Meeting, hat wenig bis nichts verstanden und fragt sich: Könnte es sein, dass das, was man da gerade gehört hat, einfach Bullshit war? Dass Modewörter ohne viel Gehalt zunehmen, lässt sich auch an der zunehmenden Erforschung des Phänomens ablesen. In einem schon klassisch gewordenen Büchlein hat der US-amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt dabei darauf gewiesen, dass es dem Bullshitter, im Gegensatz zum Lügner, einfach egal sei, ob eine Aussage stimme oder nicht. „Der Bullshitter versucht aber immer, uns über ein Vorhaben zu täuschen.“

Bullshitten ist kunstvolle Arbeit

Damit scheint klar: Bullshit ist irgendwie schlecht. Aber warum macht sich dann eine ganze Industrie die Mühe, ihn zu verbreiten? Denn wie der Organisationsexperte André Spicer gezeigt hat, ist Bullshitten eine geradezu kunstvolle Arbeit: Man muss Begriffe finden, die irgendwie positiv, aber zugleich abstrakt und mehrdeutige und dadurch nicht festzunageln sind – wie Innovation, Werte oder Nachhaltigkeit; man muss durch die Anhäufung solcher Wörter eine „unaufklärbare Unklarheit“ erzeugen; und man sollte nie vergessen, die Dynamik des Behaupteten zu betonen – damit man jede Kritik mit dem Hinweis aushebeln kann, die Lage habe sich eben verändert, während man schon den nächsten Trend ausruft.

Imagepflege und Unsicherheiten

Der Bullshitproduzent pflegt damit sein Image, der Nutzen ist indes nur kurzfristig: Unsicherheiten werden überspielt, die Erwartungen des Zeitgeists an bestimmte Begriffe erfüllt. Langfristig entferne man sich so aber häufig vom „eigentlichen Unternehmenszweck“, untergrabe die Loyalität der Mitarbeiter und verliere auch das Vertrauen der Stakeholder.

Autoritäre ab ins Trainingsprogramm

Bullshit kann aber auch von „den Ehrlichen (re-)produziert werden“, betont ein Team der Copenhagen Business School in einem aktuellen Aufsatz, der untersucht, in welchen Problemlagen man besonders empfänglich dafür ist. Eines dieser Probleme seien die zunehmend widersprüchlichen Anforderungen an Führungskräfte. „Während es als Verzicht auf Ihre Rolle als Führungskraft angesehen werden kann, völlig egalitär zu sein, führt autoritäres Verhalten in modernen Organisationen wahrscheinlich direkt zu HR-Trainingsprogrammen für Konfliktmanagement“, wenn nicht zu Schlimmeren. Es sei also „nicht verwunderlich, dass moderne Manager nach allem kramen, was ihnen ein Gefühl der Handlungsfähigkeit gibt“.

Bullshit als Strategie

Noch naheliegender sei die Bullshit-Tendenz in Frage der Strategie. Denn nicht nur ist die Zukunft ja bekanntlich meistens offen, manchmal gibt es für die erstrebten neuen Zustände tatsächlich noch keine Begriffe. Zudem gibt es auch bestimmte Situationen, in denen der „aspirational talk“, der die Richtung weisen, den Ehrgeiz wecken und die Motivation steigern soll, geradezu erwartet wird. Und wie würden Mitarbeiter wohl reagieren, wenn der Chef ihnen dann erklären würde, es auch nicht so genau zu wissen?

VON JENS POGGENPOHL