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Vielfalt statt Altersdiskriminierung: Ein Experte gibt Tipps

Es ist kein Geheimnis, dass sich Menschen über 50 Jahren bei der Jobsuche schwertun, was jüngst auch eine veröffentliche Studie von Swiss Life bestätigte, die den Schweizer Arbeitsmarkt untersuchte.
Veröffentlicht am 23.06.2022
Der erste Schritt ist, sich potenzieller Diskriminierung bewusst zu werden", ist sich Recruiting-Experte Colm O’Cuinneain (Foto) sicher. | Bild: Greenhouse Software

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass mehr als jedes vierte Unternehmen in der Schweiz Stellensuchende im Alter von über 55 Jahren diskriminiert. 28 Prozent der befragten Unternehmen antworteten auf die Frage, ob diese grundsätzlich bereit wären, über 55-jährige Bewerber einzustellen, mit einem kategorischen „Nein“ oder „eher nicht“ – und das trotz Fachkräftemangel. Es ist davon auszugehen, dass die Zahlen in Deutschland sich nicht wesentlich unterscheiden.

Diskriminierung aufgrund des Alters verboten

In Deutschland schützt das "Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz" (AGG) vor Benachteiligung aus sechs Gründen: ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, sexuelle Identität und Alter. Wer aufgrund eines dieser Merkmale zum Beispiel im Berufsleben ungleich behandelt wird, kann dagegen klagen. Diskriminierung aufgrund des Alters kann im beruflichen Kontext gleich mehrere Dimensionen haben. Hier gilt „zu jung“ ebenso wie „zu alt“ gleichermaßen als Altersdiskriminierung. Die Ausprägungen sind vielfältig.

Vielfalt bringt Vorteile

Eine vielfältige und integrative Kultur im Unternehmen bietet nicht nur Vorteile für die Mitarbeitenden selbst, sondern auch einen Mehrgewinn für das Unternehmen. Denn vielfältige Teams arbeiten gemäß einer Studie der Beratungsgesellschaft McKinsey nicht nur lösungsorientierter, sie denken auch vielschichtiger und erzielen somit schnellere und bessere Ergebnisse ("Delivering through Diversity", McKinsey & Co. 2018).

Zu wenig Diversität bei der Personalauswahl

Bei der Bildung von diversen Teams steht also vermeintlich die Frage „Wer passt am besten ins Team“ häufig im Fokus. Doch hier ist Vorsicht geboten, denn mit dieser Frage kann implizit auch nach Kandidaten gesucht werden, die ähnlich denken oder aussehen wie die restlichen Teammitglieder, was zu weniger anstatt zu mehr Diversität führt. Unternehmen, die Unterschiede nicht als Schwäche, sondern als Stärke betrachten, können diese Frage operativ besser einsetzen. Denn wenn Menschen gemeinsame Ziele haben, profitieren sie auch von den Unterschieden im Team.

Bewusstsein erster Schritt gegen Diskrimierung

Für Colm O’Cuinneain ist der Rekrutierungs-Prozess für eine Vielfalt an Altersgruppen im Unternehmen entscheidend. „Vorurteile sind menschlich. In der Regel fällt in den ersten fünf bis zehn Sekunden die Entscheidung, ob uns jemand sympathisch ist oder nicht. Die restliche Zeit wird dann unbewusst darauf verwendet, diesen Eindruck zu bestätigen“, so O’Cuinneain.. „Das ist kein aktiver Prozess, sondern ein Vorgang, der bei jedem Menschen mehr oder weniger stark ausgeprägt ist. Hier gilt es, Strategien und Prozesse zu etablieren, die diese unbewussten Verhaltensmuster hinterfragen und offenlegen.“ O’Cuinneain ist General Manager EMEA bei Greenhouse, einem US amerikanischen Unternehmen für Hiring-Software, also einer Software, die sich intensiv mit dem Bewerbungs- und Einstellungsprozess beschäftigt. Allein der Umstand, sich potenzieller Diskriminierung bewusst zu sein, sei der erste Schritt, sie zu verhindern, ist sich der Recruiting-Experte sicher.

50plus bei Jobsuche mit Vorurteilen konfrontiert

Eine Person Mitte 50 kann als zu alt für die Arbeit in der Gastronomie gehalten werden. Ihr werden gewisse Fähigkeiten wie Schnelligkeit oder Flexibilität pauschal aberkannt. „In Situationen, in denen ältere Personen nach einer Unterbrechung wieder Arbeit suchen, sind viele Unternehmen voreingenommen“, so O’Cuinneain. „So werden Ältere meist nicht eingestellt, weil unterbewusst angenommen wird, ihnen mangele es an Flexibilität, neue Kenntnisse zu erlernen oder sich an eine andere eventuell dynamische Arbeitsumgebung anzupassen.“

Experte gibt Tipps, um Altersdiskriminierung zu vermeiden

Der Experte sieht den Zeitpunkt der Diskriminierung aufgrund des Lebensalters nicht vorrangig während des Anstellungsverhältnisses, sondern bereits vorher, während des Bewerbungsprozesses. Deshalb empfiehlt er, beim Auswahlprozess darauf zu achten, dass bereits beim Erstellen des Anforderungsprofils keine altersspezifischen Eigenschaften gefordert werden, um die Voreingenommenheit von Anfang an zu reduzieren. Auch bei der Wortwahl empfiehlt er auf Formulierungen wie „junges Team“ zu verzichten. Zudem plädiert er, neben Online-Ausschreibungen nach wie vor Printmedien zu nutzen, da es Altersunterschiede bei der Mediennutzung gebe. Nicht zuletzt fordert er eine Konzentration auf die für die Stelle relevanten Informationen, um Voreingenommenheiten auszublenden. Eine Methode sei hierbei das Structured Hiring. Bei diesem datengesteuerten, strukturierten Einstellungsverfahren sind Anforderungen und Qualifikationen eindeutig definiert.
Mit diesen Strategien könne Altersdiskriminierung im beruflichen Kontext zwar nicht vollständig verhindert, so O’Cuinneain, aber zumindest der Einstellungsprozess im Hinblick auf eine faire Gleichbehandlung optimiert werden.

VON HOLGER HAGENLOCHER