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Existenzgründung: eine Entscheidung fürs Leben

„Schuster, bleib bei deinen Leisten“: wer kennt den alten Spruch noch? Ein Gründungswilliger hat eine ganz andere Sehnsucht: gerade nicht beim Alten zu bleiben, sondern einen Traum zu verwirklichen. Einen entweder lange gehegten, während man noch Angestellter ist- oder einen Traum, der sich gleich zu Berufsbeginn ergibt. Doch wie geht man eine Selbständigkeit an, erst recht in schwierigen Zeiten, in denen die Pandemie noch nachwirkt?
Veröffentlicht am 20.08.2021

 

Start-Ups sind in der Wirtschaft beliebt: sie beleben das Geschäft im Kreis und Bundesland, sie sorgen für Arbeitsplätze, sie treiben oft den technologischen Fortschritt voran und sind Magnete für junge, gut ausgebildete Kandidaten. Ein Start-Up hat erfolgreich gegründet. Ob es erfolgreich bleibt, liegt an Markt und Management. Gründungswillige jedoch sind von diesem Stadium noch weit entfernt: anfangs hat der Einzelne nur seine Geschäftsidee. Meint er es ernst mit ihr, schließen sich Machbarkeits-Überlegungen an. Und schon beginnt eine Reihe von Arbeitspaketen...

Der Business-Plan: „Bibel“ für jeden Gründer

An Gründung Interessierte haben meist schon von ihm gehört: dem berühmten Business-Plan, der in der Regel obligatorisch ist, wenn Kredite und Fördergelder gewünscht sind. Geldgeber möchten ihn vorgelegt bekommen, um abzusichern, dass die Geschäftsidee Hand und Fuß hat und der junge Unternehmer (der an Jahren nicht jung zu sein braucht) vor den gröbsten Anfängerfehlern geschützt ist.
Allerdings ist der Businessplan keineswegs nur für Geldgeber nützlich. In erster Linie nützt, ihn zu verfassen, dem Gründer selbst. Es hilft, die Chancen und Risiken der kommenden Jahre realistisch abzuschätzen und dazu auch die eigenen Stärken und Schwächen zu reflektieren: genau das braucht jeder Existenzgründer und bereits jeder noch unentschiedene Interessierte! Daher ist ratsam, in jedem Fall einen Businessplan zu machen und nicht etwa nur dann, wenn er von Institutionen verlangt wird. Rat und Hilfe dazu gibt es auf den zahlreichen Gründerplattformen im Internet reichlich; genauso unterstützen auch die Kammern und individuell buchbare Existenzgründungs-Coaches.

Kapital und Budgetplanung: das Fundament für die Gründung
Viele sind begeistert von ihrer Gründungsidee und erzählen ihren Bekannten oft davon. Der Start verzögert sich allerdings immer und immer wieder, und das Umfeld nimmt wahr, dass er gar nicht wirklich angegangen wird. Neben fehlendem „How to“- Wissen ist sehr oft Kapitalmangel dafür verantwortlich. Handels- und Handwerkskammern analysieren regelmäßig, woran Unternehmen in den ersten 5 Jahren ihres Daseins scheitern: ganz an der Spitze der „Hitparade“ steht eine zu geringe Finanzdecke. Vorgeplant will werden: was ist, wenn es in den ersten Monaten bis Jahren kaum zu Umsatz kommt, und erst recht zu keinem Gewinn? Es reicht auf keinen Fall, allenfalls ein paar Monate mit eigenen Reserven durchhalten zu können und auch keine Fremdreserven zugänglich zu haben.
Ganz häufig unterschätzen Gründungsinteressierte die Durststrecke, die sie eventuell aus eigener Kraft überbrücken müssen. Das gilt sogar für Betriebe, z.B. im Handwerk, die sofort nach Eröffnung Umsatz machen: nicht garantiert ist die Zahlungsmoral der Kunden! Schon oft hat einem Kleinbetrieb das Genick gebrochen, wenn Kunden säumige Zahler waren. Die Gefahr, dadurch Liquidität zu verlieren, ist in manchen Branchen und Gewerken hoch. Daher ist Vorbauen so wichtig, und das bedeutet im ersten Schritt: Durchrechnen, Kalkulieren der Einnahmen und Ausgaben, Abschätzen von Gefährdungen, Analysieren möglicher Geldquellen für den Notfall, Einplanung von Rücklagen und Re-Investments.
Wieder zeigt sich der Nutzwert des Business-Plans: dessen Finanzteil zwingt dazu, prognostisch all diese Faktoren zu durchdenken. Wer daraufhin die Selbständigkeits-Idee doch lieber einstampft, braucht sich nicht als Versager zu fühlen! Vielmehr ist das ein hochvernünftiges Handeln auf Basis einer gründlichen Bilanzierung: lieber ein schnelles Ende mit (dann nur kurzem) Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende....

Marktanalyse: das A&O
Es gibt verrückte Ideen: übergroße Schuhe aus Schokolade zum Beispiel! Lässt sich das verkaufen? Eine Gründerin hat damit in Großbritannien durchschlagenden Erfolg gehabt. Auf der anderen Seite kann eine zunächst solide und alltäglich wirkende Geschäftsidee baden gehen, obwohl so sicher schien, dass die Dienstleistung ankommt.
Woran liegt so etwas? In der Regel an der Frage, ob Markt, Nachfrage und Konkurrenz wirklich sauber analysiert wurden. Die Schokoladen-Künstlerin vermochte, Nachfrage für ihr ungewöhnliches Angebot zu wecken und hat mit Sicherheit vorab den Markt daraufhin untersucht, ob Ähnliches - und auch noch in der gleichen Region - von Mitbewerbern angeboten wird. Das ist Recherche-Arbeit.
Menschen, die mit Selbständigkeit als Idee spielen, sich aber sofort „abgetörnt“ von derlei Mühe fühlen, sollten besser nicht gründen! Zumindest nicht, wenn sie Geld damit verdienen wollen, und auch nicht, wenn sie sich von Anfang an eine 35-Stunden-Woche garantieren möchten. Recherche ist absolut unerlässliche Hausaufgabe - heutzutage vor allem digital.

Selbstmanagement im Dauerstress
Auf den Spitzenplätzen der Gründe für scheiternde Selbständigkeit findet sich neben Kapitalmangel und fehlendem betriebswirtschaftlichem Wissen ein dritter Aspekt: ist man eine Gründerpersönlichkeit, ein echter Entrepreneur? Können Sie im Vergleich zu einem sicheren Angestelltengehalt mit dem Dauerrisiko umgehen, das zumindest während der ersten gefährlichen Jahre für viele gegeben ist, gerade für Klein- und Kleinstunternehmer? Können Sie Ihren Tag ganz ohne Chef selbst strukturieren? Oder sind Sie als Chef Ihrer selbst vielleicht viel zu hart zu sich und gönnen sich weniger Pause als ein Sklaventreiber auf der Galeere?
All das sind Fragen der Selbstorganisation und des mentalen Umgangs mit sich selbst. Den einen schreckt das Risiko an der Selbständigkeit derart, dass er lieber wieder Abstand davon nimmt. Gut, das früh zu erkennen! Den anderen reizt die Freiheit der eigenen Gestaltung mehr als alles andere auf der Welt: wer bereit ist, zu deren Erhalt große Disziplin aufzubringen (die eigentlich ein Feind der Freiheit ist), hat gute Erfolgsaussichten. Freiheit von Fremdbestimmung ist bei vielen Gründern ein ganz hoch angesiedelter Wert. Um diese abzusichern, sind viele bereit, sich als ihr eigener Chef eher wenige persönliche Spielräume zu erlauben. Die ersten Gründungsjahre sind kein Zuckerschlecken!
Mit einer Ausnahme (die hier allerdings nicht weiter beschrieben wird): Selbständigkeitsmodelle, die gar nicht auf Gewinn und Umsatz abzielen. Wer nicht von der eigenen Firma leben muss, weil die Deckung der Lebenshaltungskosten aus anderen Quellen kommt (beibehaltene Anstellung oder Versorgung durch Menschen aus dem privaten Umfeld): für den gelten all die strengen Überlegungen oben nicht.

Ernsthafte Gründung: eine Lebensentscheidung

Selbständigkeit ist nicht einfach nur ein Arbeitsmodell, es ist ein „way of life“, eine Entscheidung mit Folgen für den ganzen Rest des Lebens. Daher scheint logisch, die Idee so gründlich wie möglich zu durchdenken, alles Marktzugängliche zu analysieren und sich selbst zu prüfen: will ich mir das wirklich zumuten? Wenn alles innerlich „Ja“ dazu ruft: gehen Sie es an! Gehen Sie auch in Kontakt mit den vielen Gründerplattformen im Internet, suchen Sie sich Helfer und Mentoren, gute Freunde, die Ihnen den Rücken stärken und Fachleute, die nötiges Faktenwissen liefern. Das Wissen ist leicht zugänglich - die Persönlichkeit bringt der Gründer mit. Wirtschaft braucht Entrepreneure dringend - gestalten Sie die Zukunft mit!

Tipp am Rande:
Oft wird von Unternehmen ein klassischer bzw. chronologischer Lebenslauf verlangt. In diesem fallen Wechsel und Lücken sofort auf.
Falls diese Form nicht verlangt wird und Sie mit einer Mosaik-Karriere aufwarten, probieren Sie doch einmal einen thematischen Lebenslauf aus.
Hierbei schlüsseln Sie nach Themen geordnet Ihre Berufserfahrungen auf.
Der „sprunghafte“ Anschein im klassischen Lebenslaufes wird damit erfolgreich umgangen.
Noch mehr Tipps für Bewerbungen mit „bunten Lebensläufen“ finden Sie in unserem Begleitvideo.

Antonia Anderland - Organisationsberaterin, systemischer Business Coach und Wirtschaftsmediatorin Antonia Anderland ( www.anderland.org ) ist seit über 20 Jahren Organisationsberaterin, systemischer Business Coach und Wirtschaftsmediatorin. Im Kompetenzteam von “biema - beruflich richtig platziert” ist die Karriereneugestaltung ihr Fokus. Jedes Jahr coacht, berät und trainiert biema über 600 Menschen dabei, sich beruflich richtig zu platzieren.
www.biema.de