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Assessment Center: Lohnt sich das große Bewerbercasting?

Das großangelegte Auswahlverfahren ist bei Fachleuten umstritten, denn das Bewerbercasting bietet nicht nur viele Vorteile sondern auch viele Nachteile.
Veröffentlicht am 20.01.2022
Bild: Monkey Business – stock.adobe.com

Unter Personalverantwortlichen und neutralen Beobachtern scheiden sich beim Thema Assessment Center die Geister. Lohnt sich das groß angelegte Auswahlverfahren oder ist das Bewerbercasting vergebene, teure Liebesmüh‘?

Die Personalsuche gestaltet sich immer schwieriger. Mehr Konkurrenz auf dem Arbeitgebermarkt, steigende Fluktuation und neue Lebensentwürfe stellen Personalverantwortliche vor die Herausforderung, immer wieder aufs Neue nach Auszubildenden und Fachkräften Ausschau zu halten. Ein beliebtes Mittel dabei: Assessment Center.

Assessment Center kurz erklärt

Als Assessment Center werden Personalauswahlverfahren bezeichnet, an denen im Gegensatz zu einem klassischen Arbeitgeber-Bewerber-Gespräch nicht nur ein Bewerber, sondern mehrere teilnehmen. Interessierte Bewerber werden im Rahmen eines oder mehrerer Tage auf Herz und Nieren geprüft.

Die Anzahl der teilnehmenden Bewerber an einem Assessment Center liegt in der Regel bei maximal fünfzehn bis zwanzig Personen, die unter Aufsicht und Anleitung von Führungskräften und HR-Verantwortlichen verschiedene Aufgaben lösen. Dazu zählen simulierte Gesprächssituationen, IQ-Tests, Rollenspiele, Kompetenztests oder Selbstpräsentationen.

Nicht selten greifen Unternehmen neben eigenem Personal zur Steuerung, Überwachung und Analyse der Bewerber auf externe Fachkräfte, beispielsweise Psychologen zurück. Unter Berücksichtigung definierter Kennzahlen und Bewertungsskalen werden alle Teilnehmer eines Assessment Centers analysiert und bewertet.

Ziel ist es, die Soft Skills der Top-Bewerber zu prüfen: Wie verhält sich ein potenzieller, neuer Mitarbeiter in Stresssituationen? Wie arbeitet der Bewerber im Team? Wie positioniert und verhält er sich gegenüber künftigen Kollegen?

Große Auswahl, intensive Gespräche, Onboarding light

Der Trend im Recruiting geht bei vielen Unternehmen weg vom klassischen Bewerbungsgespräch als einzigem Touchpoint mit einem Interessierten hin zum Assessment Center. Dennoch ist dieses Auswahlverfahren, das vielen Bewerbern den Angstschweiß auf die Stirn treibt, unter Fachleuten umstritten.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Entgegen dem einmaligen Gespräch oder Telefonat mit einem Bewerber erhalten Assessoren, so wird das durchführende Personal eines Assessment Centers genannt, einen tiefergehenden Einblick in Verhaltensweisen, Denkmuster und Fähigkeiten der Bewerbenden.

Zudem schafft die gleichzeitige Beobachtung mehrerer Bewerber eine unmittelbare Vergleichbarkeit. Um diese zu gewährleisten, sind transparente Bewertungskriterien entscheidend. Wichtig ist außerdem, dass Bewerbern vielschichtige Aufgaben gestellt werden, die alle relevanten Aspekte (beispielsweise Teamfähigkeit, Konfliktmanagement, Stressresistenz) spielerisch abdecken.

Wird ein Assessment Center von Grund auf mit den nötigen personellen und monetären Ressourcen zielgerichtet konzipiert, steigt die Wahrscheinlichkeit, darüber den passenden Bewerber zu finden. Die Kosten liegen in den meisten Fällen deutlich unter dem Aufwand, der bei hoher Personalfluktuation aufgrund schneller Fehlbesetzungen entsteht.

Durch die intensiven Stunden und Tage zwischen Bewerbern und Mitarbeitern des Unternehmens tritt ein positiver Nebeneffekt auf: Bewerber, die sich durchsetzen, haben bereits einige künftige Kollegen und Kommunikations- und Verhaltensweisen kennengelernt. Es findet vereinfacht formuliert bereits ein „Onboarding light“ statt.

Von Schauspielern und falschen Einsparungen

Neben den genannten Vorteilen bergen Assessment Center zahlreiche Risiken, die vor allem bei einer inkonsequenten Vorbereitung und Durchführung seitens der Assessoren auftreten können.

In der Praxis werden Assessment Center zwar vielfach eingesetzt, um den passenden Bewerber zu finden – bereit, das notwendige Kapital zu investieren, sind viele Unternehmer aber nicht. Dabei ist es elementar, dass eine laufende Analyse der Bewerber stattfindet, die gestellten Herausforderungen ausgewogen sind und im Vorfeld bereits Bewertungsmaßstäbe klar festgelegt werden. Diese Aufgaben sind personal- und zeitintensiv. Werden sie nur unzureichend ausgeführt, führt ein Assessment Center nicht zum gewünschten Erfolg.

Stellenweise werden klassische Spiele und Methoden verwendet, die nicht zwingend eine Aussagekraft in Bezug auf die ausgeschriebene Stelle haben. Das führt zu einer verzerrten Wahrnehmung eines Bewerbers, was ihn in seinem künftigen Job erwartet. Zudem fallen bei oberflächlicher Betrachtung vor allem die Teilnehmer auf, die extrovertiert, laut oder „gute Schauspieler“ sind. Hier gilt es, genau hinzusehen und Verhaltensmuster kritisch zu hinterfragen.

Wenn, dann richtig: Assessment Center können sich lohnen

Von vielen Personalverantwortlichen als Heilsbringer angepriesen, von kritischen Stimmen wiederum als unnötiger Aufwand abgestempelt: Rund um die Sinnhaftigkeit von Assessment Centern haben sich zwei gegensätzliche Lager entwickelt.

Wer in der herausfordernden Mitarbeitersuche auf ein Assessment Center setzt, dem sollte bewusst sein: Das große Bewerbercasting ist sinnvoll – aber nur dann, wenn es von Anfang bis Ende konsequent durchdacht ist und durchgeführt wird.

VON JOHANNES STRIEGEL