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Ein alter hut? - Die 4-Tage-Woche im Fokus

In unserem Interview erklärt Dr. Voss, dass die 4-Tage-Woche unterschiedliche Konzepte umfasst, von Teilzeitmodellen bis zur Verteilung der Arbeitszeit auf vier Tage mit vollem Lohnausgleich. Er betont, dass, trotz der Flexibilität, die eine 4-Tage-Woche bieten kann, sie nicht die Lösung für den aktuellen Fachkräftemangel darstellt. Unternehmen erkennen zwar Vorteile flexibler Arbeitszeitmodelle in Bezug auf Attraktivität und Mitarbeiterbindung, jedoch gibt es Grenzen, besonders in Branchen, die eine konstante Verfügbarkeit erfordern. Eine breite Einführung einer 4-Tage-Woche könnte gesamtwirtschaftlich gesehen die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen und in manchen Branchen schwer umsetzbar sein. Zudem kann eine solche Arbeitszeitverteilung zu Einschränkungen bei der Flexibilität führen, z.B. wenn Überstunden aufgrund gesetzlicher Höchstarbeitszeiten nicht möglich sind.
Veröffentlicht am 28.10.2023
Dr. Sönke Voss ist Hauptgeschäftsführer der IHK Bodensee-Oberschwaben. Bild: IHK

Herr Dr. Voss, was genau versteht man eigentlich unter einer 4-Tage-Woche?

Hinsichtlich der „4-Tage-Woche“ gibt es verschiedene Konzepte. Am weitesten verbreitet sind Teilzeit-Modelle mit beispielsweise 80 Prozent Wochenarbeitszeit. Unter Berücksichtigung der betrieblichen Notwendigkeiten bieten Unternehmen bereits vielfältige flexible Arbeitszeitmodelle für ihre Beschäftigten an, um die Abdeckung von Servicezeiten durch den Betrieb und zugleich auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen.

In der aktuellen Debatte treffen sehr unterschiedliche Vorstellungen von einer „4-Tage-Woche“ aufeinander: Von einer Reduktion bislang höherer Arbeitszeiten auf eine 32-Stunden-Woche mit vier Arbeitstagen bei vollem Lohnausgleich, über die Nutzung bestehender flexibler Arbeitszeitmodelle, bis hin zur Verteilung von beispielsweise 40 Stunden auf beliebige Werktage unter Beachtung der Höchstarbeitszeiten.

Ist die 4-Tage-Woche tatsächlich eine neue Idee?

Neu an der aktuellen Diskussion ist die Argumentation, dass eine 4-Tage-Woche, ob mit oder ohne Lohnausgleich, den Mangel an Arbeitskräften auflösen oder deutlich abmildern könnte. Hierbei wird jedoch übersehen, dass trotz bereits vorhandener flexibler Arbeitszeitmodelle, hoher Automatisierung und Digitalisierung zu wenig Fach- und Arbeitskräfte da sind. Laut unserer Umfragen stellt dies derzeit das Top-Risiko aus Sicht der Unternehmen für die weitere Entwicklung dar. Wenn dies durch ein bestimmtes Arbeitszeitmodell lösbar wäre, hätten die Betriebe dies längst erkannt und in großer Breite umgesetzt.

Welche Vorteile könnte eine 4-Tage-Woche für Unternehmen haben?

Flexible Arbeitszeitmodelle haben im Allgemeinen eine Reihe von Vorteilen für Unternehmen und für Beschäftigte, beispielsweise im Bereich der Arbeitgeberattraktivität, bei der Suche nach und Bindung von Beschäftigten, bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und vielem mehr. Dies hat aber auch Grenzen, denn aufgrund des Mangels an Arbeitskräften kann die zu leistende Arbeitszeit nicht beliebig reduziert bzw. flexibilisiert werden, denn dann könnten zum Beispiel Kundenerwartungen nicht mehr erfüllt, Produktionsprozesse nicht mehr geplant oder Vertretungen nicht mehr sichergestellt werden. Flexible Arbeitszeitmodelle müssen daher immer eine Win-Win-Situation für Betrieb und Beschäftigte sein. Die genannten Vorteile und Chancen können mit den heute bereits verfügbaren Instrumenten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit genutzt werden. Eine weitergehende gesetzliche Regelung bezüglich einer 4-Tage-Woche ist daher nicht erforderlich, vielmehr sollte größtmögliche Flexibilität bei der Gestaltung der betriebsspezifisch geeigneten Modelle sichergestellt werden.

Gibt es auch mögliche Nachteile?

Gesamtwirtschaftlich betrachtet würde eine breite Einführung einer 4-Tage-Woche, zum Beispiel infolge einer gesetzlichen Verpflichtung, den Mangel an Arbeitskräften weiter verschärfen und damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft in einem anspruchsvollen internationalen Umfeld schwächen. Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass aufstrebende Wirtschafts- und Industrienationen bereitwillig auf Wachstum und Marktanteile verzichten, wenn an den Standorten der Wettbewerber 4-Tage-Wochen eingeführt werden.

In verschiedenen Branchen ist eine 4-Tage-Woche zudem nur schwierig umsetzbar. Beispielsweise ist es im Dienstleistungssektor oft unerlässlich und wird auch von den Kunden so erwartet, dass eine Erreichbarkeit zu den üblichen Geschäftszeiten gegeben ist. Montagetätigkeiten müssen oft am Stück erfolgen, zumal meist eine enge zeitliche Taktung mit anderen Tätigkeiten erforderlich ist. In einigen Branchen gibt es auch saisonale Lastspitzen, die mit einer generellen Reduzierung der Arbeitstage oder Wochenarbeitszeit nicht vereinbar wären.

Darüber hinaus kann ein 4-Tage-Modell sogar das Gegenteil von Arbeitszeitflexibilisierung bewirken. Wenn zum Beispiel eine 40-Stunden-Woche auf vier Arbeitstage verteilt wird, können aufgrund der gesetzlichen Höchstarbeitszeit an diesen Tagen keine Überstunden mehr aufgebaut werden. Wenn dann Beschäftigte zum Beispiel spontan die Kinder abholen müssen, kann die Zeit an den eingeplanten Arbeitstagen nicht mehr nachgearbeitet werden.

Von Heike Thissen